Sonntag, 30. Dezember 2012

Was wissen Sie wirklich über die Ihnen anvertrauten Mitarbeiter?

In meinen Jahren als Führungskraft und Leiter der Mitarbeiter- und Führungskräfte-Entwicklung eines Markt führenden Unternehmens (ich vermeide wie immer den menschenverachtenden Begriff "Personal" aus dem mechanistischen Weltbild des 19. Jahrhunderts, da ich dieses "Zeug" noch in keiner Firma oder Organisation gesehen habe. Mir sind bisher immer nur Menschen und Mitarbeiter begegnet, aber nie "Personal"!) oblag mir u. a. auch die Aufgabe, mich um alle Fragen der Mitarbeiter-Motivation zu kümmern. In dieser Zeit traf ich einmal in der Produktion auf einen Meister, der behauptete: "Meine Mitarbeiter kann man (er meinte natürlich "kann ich") nicht motivieren - außer mit mehr Geld, und dafür bekomme ich kein Budget."

Ich kannte natürlich alle Motivationstheorien, auch die von Frederik Herzberg, nach der Lohn und Gehalt in Industriestaaten nicht zu den Leistung steigernden Motivationsfaktoren gehören. (Zwar arbeiten Mitarbeiter nicht mehr, wenn ihnen Bezahlung vorenthalten wird, weil sie dann unzufrieden werden, jedoch leisten sie nicht ab morgen 5 Mal so viel, wenn ihr Lohn/Gehalt ab morgen verfünffacht werden würde. Zu geringes Arbeitsentgelt führt demnach zu Unzufriedenheit. Bei hohem Arbeitsentgelt herrscht - zumindest im Punkto Besoldung - keine Unzufriedenheit mehr, es führt jedoch nicht automatisch zu einer Steigerung der Produktivität oder gar einer effektiven Leistungssteigerung.)

Daher entgegnete ich diesem Meister: "Das kann ich mir nicht vorstellen, denn es widerspricht allem, was ich bisher gelernt habe." (Heute könnte ich noch hinzufügen: "und es widerspricht auch all meiner Lebenserfahrung." Doch für diese Aussage war ich damals noch zu jung im Verhältnis zu dem etliche Jahre älteren Meister.) Ich bat ihn, mir einen Beleg dafür zu demonstrieren. Er willigte gern ein und nahm mich mit in die Produktionshalle.

Dort rief er den erstbesten Mitarbeiter zu sich. "He Du, komm mal her!" Ich fragte erstaunt: "Wie heißt denn dieser Mitarbeiter?" Die Antwort, die ich zu hören bekam, erschüttert mich noch heute. "Keine Ahnung, die haben alle so komplizierte ausländische Namen, die kann ich mir nicht merken." (Sprich: "Die will ich mir nicht merken, weil sie mir völlig 'wurscht' sind." In Bayern heißt egal 'wurscht'.)

Als ich meine Fassung zurück gewonnen hatte, machte ich einen zweiten Versuch, den Führungsstil und die Motivations"Kunst" dieses Meisters zu verstehen. Ich fragte ihn: "Wie lange ist dieser Mitarbeiter schon in Ihrer Abteilung? Ist er ganz neu?" "Ach wo, der ist schon etliche Jahre bei uns", lautete die überraschende Antwort. "Und der ist mit nix zu motivieren. Der will immer nur mehr Geld."

Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht zu sagen: "Das kann ich gut verstehen. Wenn ich so behandelt werden würde, müsste man mir auch viel (mehr) bezahlen, damit ich überhaupt zur Arbeit komme, bei dem Menschen unwürdigen Führungsstil.

Stattdessen sagte ich dem erstaunten Meister: "Danke, was ich gesehen und gehört habe, reicht mir, um die Reaktion Ihrer Mitarbeiter nachvollziehen zu können. Wenn Sie schon das wichtigste und am meisten motivierende Wort eines jeden Mitarbeiters nicht benutzen - seinen Namen -, dann brauchen wir über Motivation oder angeblich fehlende Motivation keinen weiteren Gedanken mehr zu verschwenden."

Ich habe durch dieses kurze Erlebnis wertvolle und wichtige Erfahrungen für meinen Beruf mitnehmen dürfen.
  1. Unternehmen müssen in Führungsverhalten investieren und ihre Führungskräfte regelmäßig trainieren, und dürfen sie nicht einfach so auf die ihnen anvertrauten Mitarbeiter loslassen!
  2. Viele Führungskräfte wissen viel zu wenig über ihre Mitarbeiter als Menschen, weil sie sich nicht genug um jeden Einzelnen kümmern, sich zu wenig für sie interessieren und zu wenig Anteil nehmen an deren Leben.
    Nur wenn sie wissen, welche Bedürfnisse die Mitarbeiter haben und was ihnen wichtig ist bzw. wofür sie sich Lob und Anerkennung (von ihren Führungskräften) wünschen, ist die Grundvoraussetzung erfüllt, überhaupt eine Chance zur Motivation zu erkennen und zu bekommen.
Führungskräfte dürfen zwar in Deutschland bei offiziellen Gesprächen (wie z. B. dem Einstellungsgespräch) eine Vielzahl von persönlich relevanten Dingen nicht erfragen, sie sollten diese Fakten jedoch im Laufe der Zusammenarbeit durch achtsame Aufmerksamkeit und Anteilnahme erfahren. Und auch wenn sie einige dieser Daten nicht in die Firmendatenbank ("Personal"akte) eintragen dürfen, so sollten sie sie dennoch in ihrem Herzen (und Hinterkopf) bewahren und angemessen beachten.

Wer die Sammlung der wichtigsten Informationen über die ihm anvertrauten Mitarbeiter von mir bekommen möchte, möge mir bitte eine Mail schicken mit dem Betreff:
"Bitte die Liste der 80 relevanten Mitarbeiter-Infos schicken, danke."

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